Was Du wissen solltest
Ich erinnere mich, an dieses eine Mal, als ich gegen die Wand rannte. Einfach so. Mit voller Kraft. Ich war 6 Jahre alt.
Ich erinnere mich, an dieses andere Mal, als ich mir den ganzen Tag die Ohren zu hielt. Die Welt war zu laut. Ich war 15 Jahre alt.
Ich erinnere mich, an die vielen Male, als ich dem Weiß meiner Wand Blumen schenkte, in rot und blau und gelb, und jedes Mal jemand mit weißer Farbe einfach drüber strich. Das letzte Mal war 34 Jahre alt. Und den weißen Anstrich verpasste ich selbst.
Ich habe eine besondere Fähigkeit. Schon mein ganzen Leben lang. Aber ich dachte immer, dass alle anderen das auch hätten und verstand nicht, dass es sie nicht störte. Erst mit meinen fast 40 Jahren lernte ich, dass ich Superkräfte habe.
Jetzt willst du bestimmt wissen, was ich kann. Aber vorher beglückwünsche ich dich, dass du es noch nicht weißt. Das zeigt, dass du diese Superkraft nicht besitzt. Es gibt dir die Chance auf Ruhe und Frieden. Ich habe nie Ruhe, finde nie Frieden. Und das obwohl die meisten Menschen mich meiden, wenn sie von meiner Fähigkeit wissen. Niemand verbringt gern Zeit mit mir. Und auch ich verbringe nicht gern Zeit mit anderen. Selbst aus der Entfernung sind mir die Menschen zu nah. Selbst in ihren Wohnungen und Häusern kann ich sie hören, ihre Gedanken, ihre Sorgen, ihre tiefsten Geheimnisse. Nichts bleibt mir verborgen. Kein Gedanke, der dir im Kopf herum schwirrt und den du dir niemals trauen würdest auszusprechen. Keine Frage, die dir peinlich wäre, würdest du sie formulieren. Keine Gehässigkeit, keine Abwertung, keine Fantasie und keine Belanglosigkeit. Die belanglosen Dinge machen mir am meisten zu schaffen. Alle haben immer Angst vor den Dingen, die sie mühsam verbergen. Geheimnisse, die niemand weiß, niemand wissen darf. Weil sie peinlich sind, oder bösartig. Weil sie von Gefühlen erzählen, die nicht sein dürfen. Oder von Erinnerungen, die schmerzen. Aber schlimmer sind die Dinge, die keine Bedeutung haben. Und die Köpfe der Menschen sind voll damit. Das Unwichtige prasselt nur so auf mich ein und ich weiß nicht was ich damit machen soll. Manchmal komme ich mir vor wie eine Vase, die anstatt mit wunderschönen Blumen, sich selbst mit schnodderigem Schleim füllt. Schleim, der nichts kann, nichts macht, zu nichts zu gebrauchen ist. Alles was ich tun kann, ist ab und zu diese Vase zu leeren. Und wenn sie leer ist, versuche ich die Öffnung zuzuhalten. Aber meine Hände sind zu klein. Früher als ich klein war, habe ich versucht diese Vase kaputt zu machen. Aber das ging nicht. Sie blieb heil, bekam nur ein paar Kratzer und Schrammen. Eine davon prangt noch immer auf meiner Wange.
Ich habe diese Superkraft, aber ich weiß nicht was ich damit machen kann. Das einzige was mir einfällt, ist dir davon zu erzählen und dich zu bitten, dich weniger mit Belanglosigkeiten abzugeben. Es gibt so viel Schönes auf dieser Welt. Denk zum Beispiel lieber an Blumen und ihre Farben, ihre Vielfalt und ihre Schönheit. Damit könntest du mir helfen, und vielleicht auch dir.